SOZIALDIALOG

Bis dass das Geld euch scheidet?

Die Geschichte einer deutsch-griechischen Beziehungskrise.

Von Nicole Gonsior

Niemand hat gedacht, dass es wirklich soweit kommen würde. Im Juni 2015 scheint die Liebe von Germania und Hellas vor dem Zerfall zu stehen: Nach fünf Jahren Ehekrise wollen die beiden nicht mehr miteinander reden. Während sich die gemeinsame Familie hinter Germania stellt und von Hellas abwendet, fühlt der sich hintergangen, ausgenutzt, erpresst.

Hellas und Germania, ein Paar in der Krise. Genau so lässt sich die Geschichte von Deutschland und Griechenland erzählen.  Nach vielen Jahren Partnerschaft drohte das Bündnis des temperamentvollem Hellas und der starken Germania in diesem Sommer zu zerbrechen. Und wo steht die Ehe jetzt?

Damals hat alles so gut angefangen. In den 1950er Jahren beginnt die Beziehung der beiden, zunächst platonisch diplomatisch. Schon bald spielt Germania eine wichtige Rolle in Hellas’ Leben. Hellas mag Germanias Stärke, ihre Verlässlichkeit, bewundert ihr Organisationstalent. Germania hingegen beneidet Hellas um seine Wärme, seine Kochkünste, sein Temperament und seine Lebensfreude. 1981 schließen sie den Bund fürs Leben, Anfang der 2000er Jahre ziehen sie in ein gemeinsam finanziertes Haus.

In den ersten Jahren scheint alles gut zu gehen. Im Haus kann Hellas sich frei entfalten, entwickelt einen neuen Lebensstil, der mehr dem Leben der wohlhabenden Germania gleicht. Dass er sich für das gemeinsame Leben Geld leihen muss, nehmen beide in Kauf. Doch dann geht die Wirtschaft den Bach runter, die Banken machen Hellas Druck. Er kann für sein eigenes Leben nicht mehr zahlen, steht kurz vor dem Bankrott. Germania fürchtet um das gemeinsame Haus und stimmt zu, ihm zu helfen. Während sie ihm Geld leiht, um seine Schulden zurückzuzahlen, verspricht Hellas, sich zu ändern. Soweit die Vorgeschichte.

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Graffiti in Thessaloniki

 

Seit dieser Vereinbarung sind fünf Jahre vergangen. Ein Ende der Krise ist heute noch immer nicht in Sicht. Stattdessen ist deutlich geworden, dass die finanziellen Probleme der beiden auch die grundsätzliche Art des Zusammenlebens in Frage stellen. Es sind Probleme, die die beiden sich nur in ihren schlimmsten Alpträumen vorgestellt haben. Immer wieder herrscht Streit. Hellas habe seine Versprechen nicht gehalten, wirft Germania ihm vor. Statt seinen Lebenswandel zu ändern, habe er seine Ankündigungen nicht in die Tat umgesetzt. Hellas findet, dass Germania zu streng mit ihm ist. Durch ihre vielen Forderungen sei er in eine Notlage gerutscht, habe kein Geld mehr für das Lebensnotwendigste. Seine Schwäche habe sie noch stärker gemacht. Liebe und Respekt sind gegenseitigem Misstrauen gewichen.

Deswegen reicht es Hellas im Januar 2015. Er wählt eine neue Taktik, mehr Mitspracherecht durch mehr Konfrontation. Auf einmal wirkt er unerfahren und kommuniziert nur noch unbeholfen mit Germania. Der Streit eskaliert. Kein Wort mehr wollen die beiden miteinander sprechen. Er fragt stattdessen andere um Meinung, kommt dann aber doch wieder zu Germania zurück. Wie lange das in Zukunft noch gut gehen wird, vermag keiner zu sagen.

 

Sind die Masken gefallen?

Die neue Taktik von Hellas, sie entspricht der Wahl der griechischen Linkspartei SYRIZA am 25. Januar 2015. Sie hat eine neue Dynamik in die Beziehung zwischen Deutschland und Griechenland gebracht, sagt Nick Malkoutzis, Journalist bei der griechischen Tageszeitung Kathimerini. Der Ton ist schärfer geworden. Als SYRIZA die bisherigen Vereinbarungen neu verhandeln will und die deutsche Regierung verbal attackiert, reagiert diese ebenfalls aggressiv. „Es ist, als ob sich bis dahin alle bemüht haben, möglichst höflich zu bleiben. Und dann sind auf einmal die Masken gefallen“, sagt Malkoutzis. Zwischen dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble und seinem griechischen Partner Yanis Varoufakis scheint es sogar persönliche Abneigungen gegeben zu haben. Eine neue Konfliktstufe ist erreicht.

Laut Nick Malkoutzis entstehen die Spannungen zwischen Griechenland und seinen Partnern vor allem durch die Struktur des Rettungspakets: Für ihn ist es selbstverständlich, dass die Reformen für die Geldgeber nie schnell genug voranschreiten werden, wohingegen in Griechenland zwangsläufig der Eindruck entsteht, es den Geldgebern nicht Recht machen zu können. Hellas kann es Germania nicht Recht machen und fühlt sich von ihr zu hart behandelt. Das wird langfristig zum Problem: „Während die Öffentlichkeit in Deutschland die Hilfsprogramme nur für einen gewissen Zeitraum dulden wird, wird jede griechische Regierung in einen Konflikt mit ihren Bürgern geraten, wenn sie das Reformprogramm implementiert“, sagt Malkoutzis. Das sei politisch nicht nachhaltig.

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Matthias Makowski, Leiter des Goethe Instituts in Athen


Für Matthias Makowski, den Leiter des Goethe-Instituts Athen, wird in Deutschland immer sehr allgemein von „den Griechen“ gesprochen, wohingegen sich die Wut der Griechen vor allem auf die deutsche Regierung richtet. „Wir haben aber zum Beispiel keine unangenehmen Situationen mit Touristen erlebt“, sagt er. Der Deutsche Reiseverband (DRV) berichtet sogar, dass im Sommer 2015 die Zahl deutscher Urlauber in Griechenland gestiegen ist.

 

Drohungen von Trennung und Enteignung

Makowski hatte in den vergangenen Monaten dennoch mit Drohungen aus Griechenland zu kämpfen: Die im Januar gewählte SYRIZA-Regierung drohte damit, Eigentum der Bundesrepublik in Athen zu beschlagnahmen, um damit Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg auszugleichen. Auch das Gebäude des Goethe-Instituts in Athen gehört dem deutschen Staat. Die Idee, es zu beschlagnahmen, gab es schon im Jahr 2001. „Das ist für mich aber einfach eine Art der Regierung, Druck auszuüben. Dass sie es letztendlich wirklich machen, glaube ich nicht“, sagt Makowski. Denn das Thema Reparationszahlungen wurde immer wieder zur Seite gewischt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es keine bilaterale Einigung zwischen Deutschland und Griechenland über die Frage gegeben. Auch die Rückzahlung eines Zwangskredits, den die Nazis den Griechen damals aufgezwungen haben, ist noch offen. Ursprünglich wollte die Bundesrepublik eine Wiedervereinigung mit der DDR abwarten. Seit den 1990er Jahren hatte Griechenland zwar mehrfach Forderungen erhoben, aber sie immer innenpolitischen Zielen, wie dem Beitritt zum Euro, untergeordnet. „Die Frage nach Entschädigung sollte man deshalb von der heutigen Situation trennen. Sie war immer da, aber eben nie an erster Stelle in Deutschland“, sagt Dimitrios Apostolopoulos, Historiker an der Athener Akademie und Spezialist für die deutsch-griechischen Nachkriegsbeziehungen. Die Höhe des von den Nazis erzwungenen Kredits lasse sich leicht berechnen, bei den Reparationszahlungen sei das viel schwieriger.

"Stoppt die Unterdrückung" heißt es in einem Graffiti in einer Athener Straße. Viele Griechen fühlen sich an die Unterdrückung der Nazis erinnert.

“Stoppt die Unterdrückung”: Graffiti in Athen.

 

Die Nazi-Vergangenheit Deutschlands ist im heutigen Griechenland so präsent wie lange nicht. Die strenge Haltung von Germania gegenüber Hellas erinnert viele im Land an das dominante Auftreten der Nazis während der Besatzungszeit. „Es gibt in den Archiven Befehle von Nazi-Kommandeuren, die von den Griechen als ‚Untermenschen‘ sprechen. Daran fühlen sich einige erinnert“, sagt Apostolopoulos. Manche griechischen Medien haben dieses Bild in ihrer Berichterstattung übernommen, manche deutschen Redaktionen haben das Bild des faulen Griechen geschaffen. Für Malkowski ist das eines der großen Probleme in der Krise. „In Deutschland sprechen wir oft von den Medien als vierter Gewalt im Staat. Dazu gehört nicht nur, die Regierung zu kontrollieren, sondern auch, Konflikte nicht weiter anzufachen“, sagt er. Hellas und Germania werden immer wütender aufeinander, weil sie sich vom jeweils anderen provoziert fühlen. Für Nick Malkoutzis entsteht die schwierige Berichterstattung unter anderem dadurch, dass die Krise sehr komplex und schwer zu verstehen ist – auch für Journalisten. „Es geht nicht nur um die Wirtschaft, nicht nur um Politik, nicht nur um Europa, sondern auch um die einzelnen Mitgliedsstaaten, ihre Kultur und Geschichte und dann auch noch um die Geschehnisse in Brüssel und die Funktionsweise der Eurozone.“ Da sei es auch für Journalisten manchmal einfacher, in Narrative zu verfallen. So wie dem von Hellas und Germania.

Nach fünf Jahren Streit sind beide erschöpft, desillusioniert, ratlos. Vor einer Trennung haben beide Seiten Angst, obwohl Germania immer öfter damit droht. Germania und Hellas können nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Die letzte Eskalation hat beide verstört. Das kann auch eine Chance sein, wenn sie daraus ihre Lehren ziehen. Oder es war der Startschuss für weitere Risse in der Beziehung. So oder so, einige Spannungen werden bleiben, glaubt Nick Malkoutzis. So, wie in jeder Liebesbeziehung eben.

 

 

 

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