SOZIALDIALOG

“Ich möchte gern in Berlin bleiben”

Armin Peter

Jahrelang schon leidet Griechenland unter der Eurokrise. Hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Perspektiven und der Wunsch nach einem besseren Leben treiben immer mehr Griechen ins Ausland. Berlin ist dabei ein attraktives Ziel. Viele scheitern bei dem Versuch eines Neuanfangs, anderen gelingt er mit Bravour. So wie Maria Oikonomidou: Als die 29-Jährige im September 2011 in Berlin ankam, sprach sie kein Wort Deutsch und hatte keinen Job. Doch sie hat sich hochgekämpft und arbeitet inzwischen als Koordinatorin der hellenischen Gemeinde zu Berlin. Im Interview mit dialoggers-Reporter Armin Peter erzählt sie ihre Geschichte, spricht über die Probleme von Neuankömmlingen und über Vorurteile gegenüber Griechen.

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Maria Oikonomidou in ihrem Kiez Schöneberg.

Dialoggers: Maria, warum hast du dir Berlin als Ziel ausgesucht?

Maria Oikonomidou: Ich kannte ein paar Leute hier und dachte, es sei dadurch einfacher für mich. Es sind Freunde meiner Mutter, sie sind also wesentlich älter als ich. Trotzdem haben sie mir ein bisschen geholfen. Anfangs war ich viel allein, ich konnte ja nicht immer bei ihnen sein. Es war alles nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte.

 

Wo genau kommst du denn her, und wie gefällt dir Berlin?

Ich habe in  Thessaloniki gewohnt, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Berlin ist auch groß, aber ich wohne in einem guten Viertel. In Thessaloniki habe ich weit weg vom Zentrum gelebt. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich hier allein bin und mein Ding machen kann. Wenn du heute als junger Mensch in Griechenland bist, musst du bei deiner Familie wohnen bleiben. Ich habe am Anfang in einer deutschen Gastfamilie gelebt, dort sind die Kinder mit 19 ausgezogen. Hier ist man selbstständiger.

 

Wie lief es mit der Jobsuche?

Die ersten neun Monate über habe ich den ganzen Tag lang nur Deutsch gelernt, um mit dem Zertifikat dann einen Job zu suchen. Ohne Deutsch findet man keine Arbeit – nicht mal in einem griechischen Verein. Ich habe dann ungefähr 50 Bewerbungen verschickt, bevor ich im August 2012 eine Teilzeitstelle bei der hellenischen Gemeinde gefunden habe. Und da hatte ich noch Glück! Viele gut ausgebildete Griechen müssen um die 80 bundesweite Bewerbungen schreiben, bevor sie was finden, selbst Ärzte.

 

Was hast du denn studiert? 

Ich bin Museologin. In Griechenland habe ich kulturelle Projekte betreut und alles bis hin zur Finanzierung organisiert. Hier in Deutschland gibt es andere Gesetze, andere Leute, eine andere Mentalität. Außerdem ist der Studiengang nur an der FH belegbar. Das ist mehr praktisch angelegt. Ich kann sogar einen Finanzierungsplan erstellen und habe eine Professorin gefragt, ob ich mal umsonst an einem Projekt mitarbeiten könnte. Sie war sehr höflich, hat aber abgelehnt.

 

Sind deine Freunde auch aus Griechenland weggezogen? 

Ja, viele! Es gibt aber auch viele, die lieber in Griechenland bleiben möchten, zum Beispiel meine beste Freundin. Sie hat in Deutschland ihren Master gemacht, ist dann aber zurückgegangen. Sie konnte hier einfach nicht richtig ankommen. Viele Griechen bleiben dort und warten ab.

 

Sieht man in Griechenland denn schon Anzeichen von Besserung?  

Überhaupt nicht. Niemand weiß, wie es weitergeht und was noch passieren wird. Immer gibt es neue Steuern, neue Sachen zu zahlen. Die Leute haben kein Geld, viele sind arbeitslos. Meine Freundin auch. Viele, die ich kenne, promovieren gerade und probieren aus, wie viele Jahre man studieren kann.

 

Wollen deine Freunde auch nach Berlin kommen? 

Eigentlich nicht. Ich will ehrlich mit meinen Freunden sein und sage ihnen genau, was mir passiert ist und was ich erfahren habe: Es ist nicht so einfach, wie man denkt. Ich war so viel allein, musste monatelang nur Deutsch lernen und habe gelebt wie ein Schüler. Diese Situation will nicht jeder haben. Auch Arbeit zu finden ist sehr schwierig. Und viele meiner Freunde sprechen gar kein Deutsch, dann findet man sowieso nicht direkt was.

Aber ich musste ja auch erst einen Sprachkurs machen. Da konnte ich Leute kennenlernen, mit anderen Mentalitäten und anderen Erfahrungen. Für eine Bekanntschaft ist das okay, aber richtige Freunde sind was anderes. Das ist nicht ganz so leicht.

 

Hast du manchmal Heimweh?

Ein bisschen, aber nicht so viel. Ich vermisse natürlich meine Familie und Freunde am meisten. Besonders meinen Opa, er ist schon sehr alt. Zurzeit fliege ich nur selten rüber, denn ich habe zwei Jobs, einmal bei der Gemeinde, außerdem in einem Café. Dadurch kann ich eigentlich fast nie weg, denn dazu brauche ich Urlaub in beiden Jobs. Aber wir halten Kontakt über Facebook. Skypen kann ich eigentlich nur am Wochenende.

 

Was genau machst du denn bei der hellenischen Gemeinde?  

In der Gemeinde gibt es 14 Vereine und ich koordiniere ihre Arbeit. Aber nicht nur das. Wir versuchen, den Leuten mit Seminaren und Kursen bei der Integration zu helfen, unterstützen sie bei Bewerbungen und bieten kostenlose oder verbilligte Deutschkurse an, um Neuankömmlingen den Einstieg zu erleichtern. Ich weiß allerdings nicht, bis wann die Gemeinde noch geöffnet ist, weil der Senat Ende März die Gelder voraussichtlich streichen wird. Vielleicht habe ich also in zwei Monaten keine Arbeit mehr.

 

Wer kommt denn alles nach Deutschland?

Das ist sehr unterschiedlich. Manche können einen Beruf, haben aber keine Dokumente oder Zertifikate. Sie kommen dann und sagen: „Ich habe in Griechenland mit Metall gearbeitet – was kann ich hier machen?“ Wenn sie kein Deutsch sprechen, finden sie allerdings bestenfalls etwas in der Küche einer griechischen Taverna. Es gibt aber auch Leute mit vielen Dokumenten, Zertifikaten und Erfahrungen, die kommen und versuchen, Arbeit zu finden. Und dann merken, dass das nicht geht.

 

Wie groß ist denn der Beratungsbedarf?

Das hängt von der Jahreszeit ab. Im Januar hatten wir fast 150 Leute, die persönlich zu uns gekommen sind und nach Beratung fragten. Da war dann schon mal eine Schlange vor der Tür. Aber das ist nicht jeden Monat so. Manche melden sich auch nur per Telefon oder Mail. Wir bekommen durchschnittlich 20 Emails pro Woche, aber auch das schwankt. Nach Sylvester kommt deutlich mehr. Oder auch zu Semesterende, wenn junge Leute gerade fertig studiert haben und hier arbeiten wollen.

 

Und was sagt ihr den Leuten dann? 

Viele Griechen kommen nach Deutschland, ohne etwas zu wissen. Denen müssen wir dann erklären, dass du hier nicht einfach so eine Wohnung kriegen kannst. Du brauchst Geld, musst viele Mails schrieben oder ein Immobilienbüro bezahlen. Viele kommen mit nur 2000 Euro – und einige haben auch gar kein Geld dabei. Die kaufen ein Flugticket, kommen zu uns und sagen: „Ich habe kein Geld, was kannst du für mich machen?“. Aber die Gemeinde ist kein Hotel und kein Immobilienbüro. Oft können wir nichts tun. Wir versuchen aber, jedem zu helfen, machen vieles umsonst und sind immer in Kooperation mit anderen Projekten und Vereinen, zum Beispiel mit dem DGB oder der Organisation „Die Brücke“.

 

Wie könnt ihr Leuten ohne Geld helfen?

Es gibt immer Obdachlosenheime. Aber wir versuchen, die Neuankömmlinge nicht dorthin zu schicken. Die Heime sind schrecklich schmutzig und die Leute dort haben keinen Willen zur Arbeit. Wir versuchen, durch Kontakte zwischen Griechen eine Arbeit zu finden. Aber das ist oft kompliziert. Unsere Gemeinde hat rund 4000 Mitglieder, etwa 600 davon sind aktiv. Wir sammeln Spenden und bezahlen mittellosen Neuankömmlingen dann einige Tage lang ein Hotel – mehr können wir oft auch nicht tun. Wir sind nicht so reich wie die Türkische Gemeinde. Außerdem engagiert sich bei uns ein Mann, der den Griechen dabei hilft, ihren Lebenslauf zu verbessern, ihre Qualifikationen und Papiere. Er ist Deutscher, macht das gerne und umsonst. Und er spricht auch Griechisch, das hilft sehr bei Leuten, die herkommen und kein Deutsch können.

 

Wie stehen die Chancen, eine Arbeit zu finden?

Berlin hat eine hohe Arbeitslosigkeit, das merken auch wir. Es gibt natürlich viele Minijobs als Kellner oder so. Anfangs machen die Leute das, aber mittelfristig wollen sie eine richtige Arbeit. Ohne einen deutschen Abschluss, sei es Uni oder Ausbildung, geht das aber nicht. Und auch die Arbeitsmentalität ist ganz anders als in Griechenland. Bei mir war es dort sehr locker, ich kam um neun, konnte um drei oder vier gehen und habe allein Projekte gemacht. Jetzt ist das total anders. Ich verstehe das aber und will auch eine andere, richtige Arbeit.

 

Gibt es auch Auswanderer, die zurück nach Griechenland gehen?

Ja, viele sogar. Die erste große Welle Auswanderer kam wie ich im Jahr 2011 nach Deutschland, und viele von ihnen gehen jetzt wieder nach Griechenland.

 

Warum? 

Sie schaffen es nicht, Deutsch zu lernen. Das ist ein Grund. Oder sie finden keine richtige, feste Arbeit. Die meisten halten die ständige Angst und Unsicherheit nicht aus, sie gehen wieder zurück, weil sie dort die Sprache können. Das macht es zumindest etwas einfacher.

 

Wie ist es mit dir – möchtest du zurück?

Mir gefällt es sehr gut in Berlin. Wenn ich hier arbeiten und eine Familie gründen kann, dann würde ich gern bleiben.

 

Begegnen dir im Alltag oft Vorurteile? 

In Griechenland sagen die Leute zu mir „Du Deutsche!“, dabei kann ich gar nicht so gut Deutsch. Aber die Griechen sind depressiv und übernehmen deshalb leichter die Meinung anderer Leute. Wenn ich dann sage „Die Deutschen sind super“, entgegnen viele „Was sagst du denn da!“. Es ist etwas, das ich ihnen nicht beibringen kann. Die Leute hören nicht.

 

Und hier in Deutschland?

Im Alltag nein, nicht hier. Obwohl, anfangs schon. Als ich mich angemeldet habe, war ich mit dem Sohn meiner Gastfamilie auf dem Bürgeramt. Er hat gefragt, warum man sich anmelden muss. Die Dame hat dann erklärt, das sei wegen der Steuern. Dann sagte sie: „Wir sind hier nicht wie die Griechen, die zahlen keine Steuern.“ Oder als ich meine Wohnung gefunden habe, war sich mein Vermieter unsicher, ob er an eine Griechin vermieten soll, wegen des Geldes. Das war etwas komisch, denn meine Familie hat etwas Geld. Auch ohne Arbeit könnte ich einige Monate meine Miete zahlen.

 

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