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„Für Griechenland eine große Chance“

Der Eingang zu einem der Büros von Panayiotis Ioakimidis liegt in einem grauen Kastenbau im Zentrum Athens. Ein klappriger Aufzug fährt ruckelnd bis in den dritten Stock, im Flur dort drängeln sich lärmende Studenten. Ioakimidis Büro hat durch Neonlicht und PVC-Boden typischen 70er-Jahre-Charme – selbst Krankenhäuser sind gemütlicher. Ein Besuch lohnt sich trotzdem: Ioakimidis ist Professor für europäische Integration und hat zahlreiche wichtige Verträge mitverhandelt – wie die Einigung zum europäischen Binnenmarkt. Bis heute forscht, diskutiert und publiziert der 67-Jährige regelmäßig über Europa, Zeit hat er dabei keine zu verlieren. Entsprechend nüchtern seine Begrüßung: „Am besten, wir kommen gleich zur Sache.“

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Dialoggers: In drei Wochen ist es soweit: Ab Januar 2014 übernimmt Griechenland den Vorsitz im Europa-Rat. Was bedeutet das für Ihr Land?

 

Ioakimidis: In unserer Geschichte als Mitglied der Europäischen Union wird es das fünfte Mal sein, dass wir diese Rolle übernehmen. Die Umstände sind diesmal entsprechend schwierig, da sowohl Griechenland als auch die gesamte Eurozone eine schlimme Krise durchlaufen. Das wird natürlich die Präsidentschaft beeinflussen. Aber für Griechenland ist das auch eine große Chance.

D: Inwiefern?

I: Wir können zeigen, dass wir trotz der wirtschaftlichen Krise in der Lage sind, konstruktiv und effizient an der europäischen Agenda mitzuwirken. Wir können beweisen, dass wir ein verlässlicher Partner sind und so unsere Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die in den vergangenen Jahren stark gelitten hat. Griechenland war in letzter Zeit stets das Schlusslicht in der Eurozone – jetzt können und müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen.

D: Welche Projekte will Griechenland während seiner Präsidentschaft durchsetzen?

I: Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Währungsunion zu weiterzuentwickeln. Konkret heißt das, dass wir eine Bankenunion brauchen – das ist extrem wichtig für die Eurozone und natürlich auch für Griechenland. Ein weiterer zentraler Aspekt wird sein, europaweit für mehr Wachstum zu sorgen und so neue Arbeitsplätze zu gewinnen.

D: Welche konkreten Maßnahmen sind dafür nötig?

I: Um ehrlich zu sein erwarte ich nicht, dass während unserer Präsidentschaft wirklich neuartige Initiativen entstehen werden. Aber wir haben uns in der Union im Wachstumspakt und auch der sogenannten Jugendgarantie bereits auf eine Summe von Maßnahmen geeinigt[z.B. ein Programm für mehr Ausbildungsplätze, Anmerk. d. Red.]. Unsere Aufgabe ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass diese Maßnahmen entsprechend umgesetzt werden. Darüber hinaus gibt es noch eine weiteres, sehr wichtiges aber heikles Thema: Die Migration in Europa. Das gilt sowohl für die Migration innerhalb der Union als auch aus nicht-europäischen Ländern in die EU. Unglücke wie das vor Lampedusa vor wenigen Wochen dürfen nicht mehr passieren.

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D: Wurde dieses Thema denn in den vergangenen Jahren vernachlässigt?

I: Das kann man so sagen, ja. Vordergründig betrifft es eben auch erst einmal die Mittelmeerländer, vor allem Italien und Griechenland, weil hier die Flüchtlingsboote ankommen. Aber die Sicherung der europäischen Außengrenzen ist für alle Mitgliedsstaaten gleich wichtig und sollte dementsprechend behandelt werden. Die Belastung muss gleichmäßig verteilt werden: Alle Länder müssen sich verpflichten, eine bestimmte Anzahl an Migranten aufzunehmen. In Folge des Lampedusa-Unglücks vor einigen Wochen hat die EU-Kommission einige Maßnahmen vorgeschlagen. So sollen Migranten in Zukunft schon einen Asylantrag bereits im Ausland, also vor der Einreise in die EU, stellen können. Griechenland wird sich stark dafür einsetzen, dass diese Vorschläge rechtlich festgeschrieben werden und im Juni am Ende unserer Präsidentschaft in Kraft treten können.

D: Griechenland hat sich also Einiges vorgenommen – und zusätzlich noch mit den Wirtschaftsreformen im eigenen Land zu kämpfen. Eigentlich wollte die EU-Troika bereits im Dezember entscheiden, ob die griechische Regierung weitere finanzielle Unterstützung von der EU bekommt. Nun hat die Prüfkommission ihren Besuch auf Januar verschoben, da einige Reformen noch nicht umgesetzt seien. Werden diese Verhandlungen einen negativen Einfluss auf die Präsidentschaft haben wird?

 

I: Natürlich wäre es gut gewesen, wenn die Troika bereits Ende dieses Jahres zu einem Ergebnis gekommen wäre. Dann hätten wir uns ganz auf europäische Themen konzentrieren können. Das ist leider gescheitert, der Beschluss ist auf das nächste Jahr verlegt worden. Natürlich werden sich diese Diskussionen bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Aber ich hoffe sehr, dass es uns nicht daran hindern wird, unsere Funktion im EU-Rat zu erfüllen.


D:
Wurden griechische Interessen innerhalb der EU bisher ausreichend beachtet?

I: Das steht außer Frage, auch wenn Verbesserungen natürlich immer möglich sind. Aber ich möchte betonen, dass griechische Präsidentschaft eine rein europäische sein wird…

D: …und das bedeutet?

I: Unsere strukturellen Probleme müssen wir innerhalb Griechenlands lösen, nicht auf europäischer Ebene. Unser Ziel als Rats-Führer ist es dagegen die europäische Krise insgesamt zu überwinden. Dafür werden wir sehr stark mit den anderen Mitgliedsstaaten und natürlich den Europäischen Institutionen, also der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat, zusammenarbeiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wenn wir die Krise überwinden wollen, nicht weniger Europa brauchen – sondern mehr.

D: Hat die Eurokrise dem europäischen Integrationsprozess geschadet?

I: Nun ja, einerseits hat die Krise die Integration sogar vertieft. Die Rolle der Zentralbank zum Beispiel hat sich komplett geändert. Sie ist, de facto, ein Gläubiger letzter Instanz geworden. Das heißt sie kauft zum Beispiel Staatsanleihen, die kein anderer Kreditgeber mehr haben will. Zugleich hat die Europäische Kommission heute viel mehr Kontrolle über staatliche Haushaltsbudgets als früher. Das ist die eine, die positive Entwicklung. Andererseits gibt es auch eine negative Tendenz: Denn obwohl die Krise gezeigt hat, wie stark die europäische Wirtschaft und Gesellschaft vernetzt ist, hat sie emotionale Bindungen zwischen den Völkern Europas untergraben. Alte Stereotypen sind wieder aufgelebt, das ist sehr schlimm. Daran waren vor allem die Massenmedien schuld.

 

D: Wie kann das verlorengegangene Vertrauen wiederhergestellt werden?

I: Die Medien sind in der Pflicht. Sie müssen umdenken und es schaffen, für gegenseitiges Verständnis zu sorgen und die Alpträume, die verschiedene Gesellschaften ängstigen, vertreiben. Ich denke, das ist der beste Weg, um die europäische Integration voranzutreiben und die Menschen wieder stärker zusammenzubringen. Um ehrlich zu sein: Ich persönlich hoffe, dass in fünf oder zehn Jahren die Europäische Union zu einer wirklich vollintegrierten politischen Union geworden ist. Das ist meine Vision.

D: Welche Rolle soll Deutschland dabei spielen?

I: Aus meiner Sicht hat Deutschland schon viel getan, um Griechenland in der Krise zu unterstützen. Aber es muss noch mehr tun. Ich habe keine Angst vor einem Deutschland, das die europäische Union anführt. Ich habe Angst vor einem Deutschland, das inaktiv bleibt. Ich denke, Deutschland sollte seine Führungsrolle und die damit verbundene Verantwortung in der EU noch stärker wahrnehmen – und seine Politik danach ausrichten. Zum Beispiel sollte es sich für mehr Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa einsetzen, mehr investieren, sowohl im eigenen Land als auch in Südeuropa. Ich hoffe sehr, dass die neue deutsche Koalitionsregierung das tun wird.

Panayiotis Ioakimidis

studierte Politik, Wirtschaft und europäische Integration an der London School of Economics sowie den Niederlanden und den USA. Heute forscht und lehrt er als emeritierter Professor an der Universität Athen. Lange Zeit war Ioakimidis auch als politischer Berater der griechischen Regierung tätig. So hat er unter anderem die Verträge zum Europäischen Binnenmarkt sowie die Verträge von Maastricht und Amsterdam mitverhandelt und von 2002 bis 2003 am Entwurf einer europäischen Verfassung mitgeschrieben.

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