INTERVIEWS
Das progressive Rädchen
Konstantin Schoenfelder
Trotz Krise entscheidet er sich für Athen – und gegen München. Antonis Schwarz gründet ein Start-Up und konfrontiert Griechenland mit einer neuen Idee.
Antonis Schwarz ist ein 26 Jahre alter Deutsch-Grieche. In München geboren, lebt und arbeitet er seit dem Sommer in Athen, als Chef seines eigenen Start-Ups. Zusammen mit einigen Mitstreitern hat Antonis Vouliwatch.gr gegründet, ein Internetportal, über das Bürger und Abgeordnete in Griechenland direkt miteinander kommunizieren können. Vouli, das ist das griechische Wort für Parlament. In zwei Monaten geht die Seite online. Die Idee ist nicht neu, bereits seit 2004 stellen Bürger in Deutschland auf Abgeordnetenwatch.de Politikern Fragen. Diesen öffentlichen Dialog entstehen zu lassen, genau das versucht Schwarz jetzt in Griechenland.
Evripidis Stylianidis ist so ein Politiker, mit denen die Bürger über Vouliwatch.gr in Dialog treten sollen. Stylianidis ist Abgeordneter im Parlament, für die Regierungspartei Neo Democratia. Bis Juni war er griechischer Innenminister. In bestem Deutsch sagt er, dass diese positive Sache Vouliwatch.gr ihn an die griechische Antike erinnert: „Hier in Griechenland ist die direkte Demokratie geboren. Das müssen wir wieder erfinden.“
Antonis ist für diese positive Sache in die Heimat seiner Mutter gezogen, nachdem er in London, Berlin und Madrid studiert hat. Jetzt lebt er in Athen, mitten in der Krise. „Wenn man als Grieche jetzt nichts macht, dann macht man nie etwas“, sagt er. „Ich mag es nicht, mit dem Finger immer nur auf andere zu zeigen und zu sagen, wie schlimm alles ist.“ Antonis möchte Bewegung und fordert Veränderung, gerade in der Gesprächskultur. Aus der heraus würden sich große Teile der Probleme speisen. „Den Diskurs ist Griechenland nicht gewohnt“, sagt er und verzieht sein Gesicht. Den müssen die Griechen erst wieder lernen, um diesen riesengroßen Graben zwischen Bürgern und Politikern zu überwinden.
Stylianidis, der ehemalige griechische Innenminister, fordert eine bessere Kommunikation – und glaubt an Vouliwatch.gr.
An diesem Punkt setzt Vouliwatch.gr an. Das Portal stellt die Infrastruktur, Bürger und Politiker müssen aber auch mitmachen. Auf Vouliwatch.gr können die Menschen ihre Fragen an die Politik stellen, die Politiker können sich hier darstellen und die Wähler ansprechen.„Wir müssen die Politik mit dem Bürger machen und nicht gegen den Bürger“, sagt Stylianidis. Der ehemalige Innenminister vergleicht den Job eines Politikers mit dem eines Projekt-Managers. Er müsse das Problem beschreiben, eine Lösung vorbereiten, sie dem Bürger präsentieren. Auf Vouliwatch.gr, so hofft er, gehe das.
Das Portal aber funktioniert nur, wenn auch die Öffentlichkeit mitmacht, sagt ihr Gründer. Dann erst entstehe Druck und dadurch Verbindlichkeit für die Politiker. Erst wenn eine Website existiere, über die viel berichtet wird, seien sie zu einer Antwort geradezu gezwungen. Das Vorbildprojekt Abgeordnetenwatch.de läuft in Deutschland erfolgreich. Mit mehr als 400.000 Besuchern jeden Monat sorgt es für die bundesweit breiteste politisch-interaktive Debatte.
Von Deutschland scheint Schwarz nicht ganz weg zu sein, auch wenn er jetzt in Athen lebt. „Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich hier zuhause. Und manchmal fühle ich mich als Fremder.“ Aber die neue Arbeit ist ihm wichtig. Er hat keine Lust auf einen bloßen Job, in dem er nur ein Rädchen im System ist. Antonis Schwarz will ein progressives Rädchen sein. Will helfen, verändern, bewegen. Aber nicht nur wegen der Arbeit spricht für ihn nichts dagegen, jetzt erst einmal in Griechenland zu leben: „Ich bin nicht Mutter Theresa. Ich muss mich nicht opfern und leiden, nur weil ich dieses Projekt mache.” Nein, er genieße das Leben in Athen, die Restaurants, das gute Wetter. „Das ist eben auch meine Kultur.“