SOZIALDIALOG
„An Schokolade ist nicht mehr zu denken“
Felix Ehrenfried
Die hohe Arbeitslosigkeit hat zur Folge, dass viele griechische Staatsbürger am Existenzminimum leben. Doch anders als die Deutschen sind sie nicht gegen Verarmung abgesichert. Hinzu kommt ein verhältnismäßig hohes Preisniveau.
Athanasios Kaltabanis ist eine imposante Gestalt. Muskulöser Oberkörper, dunkler Teint. Auf den ersten Blick ungewöhnlich: In seiner Hand hält er einen Komboloi, dessen Perlen er unablässig durch die Finger gleiten lässt. Wird er nach seiner beruflichen Perspektive gefragt, verschwindet das freundliche, offene Lächeln vom Gesicht des 43-Jährigen. Kaltabanis ist Grafikdesigner bei der griechischen Boulevardzeitung „Espresso“, derzeit befindet er sich im Streik. „Wir bekommen wegen der Krise einfach keinen Lohn mehr ausbezahlt“, erklärt er. Bis vor einem Jahr fühlte er sich noch vollkommen unberührt von der Krise. Gemeinsam mit seiner Frau, die Journalistin bei der Tageszeitung „Adesmeftos Tipos“ ist, konnte er seine Familie mit zwei Kindern gut versorgen. Sogar die Ausbildung des Nachwuchses in einer englischsprachigen Privatschule stellte kein finanzielles Problem dar. Im Oktober 2011 erreichte die Krise dann allerdings auch das gut verdienende Ehepaar. Die Verleger von „Espresso“ fingen an, die Löhne ihrer Angestellten zu reduzieren. Oft kamen die Auszahlungen mit Verspätung und in reduzierten Beträgen, wie Kaltabanis erklärt. Er steht vor dem Haus seines Schwiegervaters Athanasios Brenias im Athener Ortsteil Koloyos.
Arbeitslosenquote auf Rekordstand – Jeder vierte Grieche ohne eigene Einkünfte
Kaltabanis deutet auf seinen Schwiegervater, der in diesem Moment seinen alten, lilafarbenen VW Polo mit einem kleinen Lappen zu putzen versucht. „Meine Schwiegereltern“, so Kaltabanis, „konnten bis vor kurzem gut von ihrer Rente leben.“ Mittlerweile wurde die Rente des Schwiegervaters aufgrund von Sparmaßnahmen um 400 Euro reduziert. „Sie müssen sich auf das Allernötigste beschränken.“ Auf seinem Weg nach Hause kommt Kaltabanis an einem kleinen Straßencafé vorbei, das bis auf zwei Gäste menschenleer ist. Er deutet auf das Café: „So etwas kann ich mir nicht mehr leisten. Sogar an Schokolade kaufen ist nicht mehr zu denken.“
Die Arbeitslosigkeit in Griechenland befindet sich auf einem Höchststand. Nach einer Statistik des Griechischen Statistischen Amts hat sich die Zahl der Arbeitslosen von 449.700 im Oktober 2009, und damit dem Beginn der griechischen Krise, auf 1.120 Millionen im Januar 2012 mehr als verdoppelt. Damit lag die Arbeitslosenquote zu Beginn dieses Jahres bei 22,6 Prozent – inzwischen ist sie auf 25,1 Prozent gestiegen. Jeder vierte Grieche ist also ohne Arbeit. In Europa sind damit nur in Spanien mehr Personen ohne ein festes Einkommen. Zum Vergleich: Im Herbst 2009 waren lediglich 7,7 Prozent der Deutschen arbeitslos, zum September dieses Jahres schrumpfte die Arbeitslosenquote laut der Bundesagentur für Arbeit auf 6,5 Prozent.
Brain-Drain: Die gut Qualifizierten wandern ab
Es sind nicht nur die niedrig qualifizierten Personen, die in Griechenland auf Jobsuche sind. Beispiele wie das von Kaltabanis zeigen, dass auch die Mitglieder der gut ausgebildeten Mittelschicht immer häufiger ohne einen festen Job sind. Mit gravierenden Folgen: Zum einen verliert das Land wichtige Steuereinnahmen, zum anderen kann es zu einem sogenannten Brain-Drain kommen, der Abwanderung von gut qualifizierten Personen in andere Länder. Eine Alternative, die auch Kaltabanis mittlerweile in Erwägung zieht: „Ich denke immer häufiger über die Auswanderung in einen Staat außerhalb der EU nach, wo die Arbeitsbedingungen besser sind.“ Er blickt auf ein heruntergekommenes Gebäude, nur wenige Meter von seinem eigenen Haus entfernt. „Ich würde am liebsten sofort ausreisen und meine Familie so bald wie möglich nachholen.“
Maria Psani, 42 Jahre alt, sitzt vor ihrem Computer in ihrer kleinen Wohnung, nur wenige Gehminuten bis zum Athener Parlament am Syntagma-Platz, wo in diesem Moment mehrere zehntausend Griechen erneut gegen die Sparauflagen der Regierung protestieren. Maria lernt seit zehn Jahren Deutsch im Athener Goethe-Institut. Auf einer Jobseite klickt sie sich durch die Angebote deutscher Unternehmen. Sie will auswandern: „Hier in Griechenland gibt es einfach keine offene Stellen und wir haben nicht mehr lange Anspruch auf eine staatliche Hilfe.“ Psani ist seit eineinhalb Jahren arbeitslos. Derzeit lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann Costas Tzimas von dessen Arbeitslosenunterstützung. 350 Euro haben die beiden zur Verfügung, um allmonatlich Versicherungen, Stromrechnungen und Lebensmittel zu bezahlen. Daneben haben sie einen Kleinkredit, den sie abzahlen müssen. Das Arbeitslosengeld von Tzimas läuft im September des kommenden Jahres aus, danach erhalten die beiden keine weitere Unterstützung des Staates.
Nach einem Jahr Arbeitslosgeld endet jegliche Unterstützung
Der griechische Staat kümmert sich bei Arbeitslosigkeit nur ein Jahr um die betroffenen Personen. Sollte danach kein neuer Job gefunden sein, zahlt die hellenische Regierung keine weitere Unterstützung. Eine Sozialhilfe oder „Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfe in anderen Lebenslagen“, wie es im deutschen Sozialgesetzbuch heißt, gibt es in Griechenland nicht. Was verschärfend hinzukommt: Ohne ein Einkommen, auch durch Transferleistungen, erlischt der Versicherungsschutz der Krankenkasse. Um jedoch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben müssen Arbeitnehmer mindestens zwei Jahre in die Sozialkassen des Landes eingezahlt haben. Anwälte, Ärzte, Ingenieure, die meist als Selbstständige ihr Geld verdient haben, gehen im Falle einer Arbeitslosigkeit damit leer aus. Somit stehen viele Griechen nach einem Jahr erfolgloser Arbeitssuche vor der Situation, keinerlei Einkommen oder Transferleistungen zu erhalten.
„Ich habe schon zahlreiche Bewerbungen nach Deutschland, aber auch nach Dubai geschickt“, erklärt Maria Psani, während sie sich weiter durch die Jobangebote klickt. Auch Unternehmen in Griechenland haben ihre Unterlagen bekommen: Von keinem bekam sie eine Antwort. „Wir würden gerne hier in Athen bleiben“, so Psani, „wissen aber nicht wie wir hier weiter überleben können.“ Deshalb ist sie fest entschlossen zu emigrieren: „Am liebsten würden wir nach Deutschland, deswegen lerne ich auch die Sprache“, sagt Psani. Eine Einladung des Frankfurter Flughafens zum Bewerbungsgespräch musste Psani ablehnen. Sie konnte das Geld für die Anreise nicht aufbringen.
Preisniveau ähnlich hoch wie in Deutschland
Es sind nicht nur die Probleme des geringen Einkommens, welche das Leben für viele Griechen extrem erschweren. Griechenland ist, im Vergleich zu anderen südlichen Ländern, ein verhältnismäßig teures Land. Güter des täglichen Bedarfes kosten in weiten Teilen ähnlich viel wie in Deutschland, inländische Produkte wie Fetakäse sind zum Teil sogar teurer, als man sie in Deutschland im Supermarkt erhält (siehe Grafik). Sieht man diese Kosten in Relation zu dem durchschnittlichen Einkommen eines griechischen Bürgers, das im Jahr 2010 bei rund 14 000 Euro lag, wird deutlich, wie viel teurer das alltägliche Leben in Griechenland ist. Ein Deutscher hatte im selben Jahr im Durchschnitt 18 800 Euro zur Verfügung.
George Apostolopoulos sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. Er ist Präsident der KYADA, einer Organisation, die sich um Obdachlose in Griechenlands Hauptstadt kümmert. Mittlerweile kommen nicht mehr nur Obdachlose zu der täglichen Suppenküche in der Sofokleusstraße in einem der ärmsten Viertel Athens. Journalisten werden an diesem Ort nicht gerne gesehen, viele ehemals wohlhabendere Athener fürchten erkannt zu werden. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern gibt er hier Tag für Tag Essen an 3800 Personen aus. Tendenz steigend.