SOZIALDIALOG

Dein Feind und Helfer

Jannik Jürgens

Blockade oder argumentative Auseinandersetzung? Die etablierten Parteien im Europaparlament suchen noch nach der richtigen Strategie im Umgang mit den Euroskeptikern.

Für Großbritannien, Frankreich und Dänemark war die Europawahl ein mittelschweres Erdbeben. Die Wahlsiege von UKIP, Front National und Dänischer Volkspartei haben so viele Euroskeptiker wie nie ins Parlament befördert. Unter ihnen gibt es Populisten, Währungskritiker und einige, die Europa am liebsten ganz abschaffen würden. Die Reaktion der pro-europäischen Parteien auf das Erdbeben ist widersprüchlich. Die Grünen versuchen die Skeptiker zu blockieren, die Konservativen wollen die argumentative Auseinandersetzung. Doch eine gemeinsame Strategie fehlt.

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Ulrike Trebesius ist eine der sieben neuen Europa-Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD). Auf dem Flur ihres Brüsseler Büros stehen noch die Umzugskartons, sie ist vor einigen Wochen eingezogen. Trebesius und ihre Kollegen haben sich vorgenommen, den Euro abzuschaffen. Die Nationalstaaten sollen zu ihrer alten Währung zurückkehren. „Die Währungsunion ist das Gegenteil eines Friedensprojekts, denn sie dividiert uns stark auseinander“, sagt Trebesius. Eine provokante Forderung, zumal Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Antrittsrede den Euro als das Friedensprojekt schlechthin lobte.

Doch am richtigen Umgang mit den Skeptikern scheiden sich die europäischen Geister. Die Grünen machten Mitte Juli im Straßburger Parlament massiv Stimmung gegen die AfD-Mitglieder machten. Beatrice von Storch (AfD) könne nicht zur stellvertretenden Vorsitzenden des „Frauen“-Ausschusses gewählt werden, weil sie „durch nationalistische und homophobe Ausfälle aufgefallen“ sei. Auf dem extra eingerichteten „AfD-Watchblog“ sagte Sven Giegold (MEP, Grüne), dass Lucke nicht stellvertretender Vorsitzender des Währungsausschusses werden dürfe, weil er laufend den Austritt einiger Staaten aus der Eurozone fordere. Andere Parteien schlossen sich dieser Haltung an: Lucke und von Storch verloren beide im ersten Wahlgang – die Kandidatur wurde zurückgezogen.

Die Europäische Volkspartei (EVP) hält nichts von dieser Blockade-Taktik. „Es war ein Fehler, die beiden zu blockieren. Damit kann sich die AfD jetzt als Märtyrer darstellen“, sagt Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. Reul schlägt eine andere Taktik vor: „Wir werden sie argumentativ bekämpfen“. Auf komplexe Probleme gebe es keine einfachen Antworten. Das gelte insbesondere für Europa. „Wir müssen beweisen, dass die Entscheidungen in Brüssel gut sind für den Bürger“, sagt Reul. Die EVP wolle mit Argumenten auf die Vorschläge der AfD reagieren und bei Übereinstimmungen auch mit der AfD kooperieren. „Wir wissen aber, dass die AfD ein unangenehmer Partner sein wird, der uns ins eigene Fleisch schneiden kann“, sagt Ines Prainsack-Ward von der EVP.

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Trebesius und die AfD haben es geschafft, in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) aufgenommen zu werden. Sie stellen die größte Gruppe der EU-Skeptiker und sind die drittstärkste Fraktion im Parlament. Die EKR lehnt zusätzliche Kompetenzen für Brüssel ab, stellt die EU aber nicht grundsätzlich infrage. Zur EKR-Fraktion gehört neben der AfD die britischen Tories, die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit, die liberal-konservativen Tschechen und die Wahren Finnen. Mit der Aufnahme in die EKR-Fraktion ist der AfD ein kluger Schachzug gelungen. Die Partei von Bernd Lucke verfügt so über längere Sprechzeiten, Mitglieder in den Ausschüssen und einen größeren Einfluss. In der vergangenen Legislatur hat die EKR regelmäßig mit der Europäischen Volkspartei zusammengearbeitet.

Noch ganz andere Kaliber finden sich unter den fraktionslosen Mitgliedern. Abgeordnete der deutschen NPD, des französischen Front National und der griechischen Goldenen Morgenröte gehören zu stramm nationalistischen Parteien, die die Arbeit im europäischen Parlament torpedieren wollen. Der Brite Nigel Farage (UKIP) hat zusammen mit der Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen Komikers Beppe Grillo eine weitgehend europaskeptische Fraktion gegründet. Farage ist gegen die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens, die Italiener fordern mehr direkte Demokratie.

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Obwohl so viele Skeptiker wie nie zuvor im Parlament vertreten sind, können sie die Arbeit der europhilen Parteien aber nicht blockieren. „Die pro-europäischen Parteien haben eine Mehrheit. Deswegen dürfte die Funktionsweise des Parlamentes insgesamt nicht großartig beeinträchtigt werden“, sagt der Politologe Stefan Thierse von der NRW School of Governance. Ob die etablierten Parteien dennoch eine gemeinsame Strategie gegenüber den skeptischen Parteien entwickeln können, muss sich noch zeigen. Bisher sieht es nicht danach aus.

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