INTERVIEWS
DIALOG
Unter Aposteln
Simon Kremer
Seit einem Jahr belagern afghanische Flüchtlinge eine Kirche in Brüssel – und demonstrieren damit gegen die europäische Asylpolitik. Doch mit den Frauen und Kindern ist auch die Aufmerksamkeit gegangen. Geblieben sind eine handvoll Männer – und die Kirche.
Für die Flüchtlinge ist Aref ein Glücksfall. 22 Jahre alt, nicht schlecht aussehend. Er liefert den Stoff für die Bilder, die die Flüchtlinge brauchen. Ein junger Mann, der nach seiner Abschiebung von den Taliban in Kabul erschossen wird. So sagt man zumindest in St. Johannes. Im Seitenschiff der Kirche Johannes des Täufers, im schicken Brüsseler Szeneviertel Saint Cathérine, steht ein Sarg aus Pappe, der noch an Aref erinnert. Darüber Fotos von Demonstrationen, auf denen Männer den Sarg in die Kamera halten. Vier Mal habe Aref Asyl in Belgien beantragt, vier Mal sei es abgelehnt worden, dann habe er zurück nach Kabul gemusst, wo es dann so kam, wie in der Kirche erzählt wird. Und wovor die verbliebenen afghanischen Flüchtlinge offiziell solch eine Angst haben: die Bedrohung durch die Taliban. So erzählt es auch Adul, als er unter der Mutter Gottes steht und seine nassen Unterhosen auf einen Wäscheständer legt. Er ist einer der übriggebliebenen Flüchtlinge, seit zwei Jahren in Belgien, seit einem in der Kirche.
Zahl der Asylgesuche in Europa. Quelle: Eurostat
Adul lacht freundlich, wenn er spricht. Die anderen haben sich in ihre improvisierten Zelte aus Planen verzogen und dösen hinter Türen aus Belgienfahnen. Vereinzelt wandeln Touristen durch die zentral gelegene Kirche. Sie gehen dann scheu zwischen den Säulen entlang und blicken eher aus den Augenwinkeln auf die Flüchtlinge. „Gerade am Anfang war das ziemlich komisch, aber man gewöhnt sich daran“, sagt Adul. „Immerhin zeigt das ja auch, dass wir noch wahrgenommen werden.“ Vor den Zelten stapeln sich die Schuhe, Fahrräder stehen in einer Ecke versteckt. „Natürlich hätten wir auch in die Moschee gehen können“, sagt Adul. „Aber wen hätte das interessiert?“ Muslime finden Zuflucht in einer Moschee… Aduls Argumentation klingt logisch. ‘Muslime besetzen Kirche’, klingt deutlich besser. Das Problem ist nur, dass die Bewegung an Schwung verloren hat.
Manchmal müssen die Bilder radikal sein
Dabei wird die europäische Flüchtlingspolitik nur ein paar Kilometer weiter entschieden. Die Fahrt mit der U-Bahn zur Europäischen Kommission dauert von Saint Cathérine gerade einmal sieben Minuten. Im Sommer 2013 verabschiedeten Kommission und Rat die neuen Richtlinien zur Europapolitik. Jedes europäische Land muss sie bis spätestens 2015 umsetzen. Dabei geht es um den Schutz von Menschenrechten, einer würdigen Unterbringung. Positive Punkte, die selbst die Opposition so sieht. Nur den Punkt, dass Flüchtlinge überhaupt in Europa ankommen, klammert die Gesetzeslage ziemlich aus, denn die Verordnungen wirken größtenteils präventiv: Viele Flüchtlinge bekommen gar nicht erst die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Und falls doch, muss sehr genau begründet werden. Jeder Zweifel führt zur Abschiebung.
In einer Fachwerk-Häuserzeile im Schatten des Glas-Komplexes am Schuman-Platz mitten in Brüssel hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland ihre kleine Dépendance. Von hier aus versucht sie unter anderem, die Flüchtlingspolitik mit zu beeinflussen. Das „Menschliche“ in das Gesetz zu bringen. Einen kleinen Erfolg konnte Oberkirchenrätin Katrin Hatzinger Anfang dieses Jahres verbuchen: In den Grenzrichtlinien wurde festgelegt, dass es keine Kollektivzurückweisungen mehr geben darf. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden. Alles sehr bürokratisch, wie auch die Juristin weiß. Hatzinger weiß aber auch um die Macht der richtigen Bilder. Deswegen befürwortet sie das Kirchenasyl für Flüchtlinge. „Dadurch wird auch gezeigt, dass hier ein Missstand ist. Das ist vielleicht manchmal radikal, aber manchmal auch nötig, damit sich was bewegt.“
In St. Johannes waren die Bilder am Anfang noch hilfreich: 400 Flüchtlinge hatten in der Kirche Zuflucht gefunden. Sie durften dort leben, demonstrierten, marschierten pressewirksam zum Haus der belgischen Staatssekretärin für Migration. Viele der 400 bekamen schließlich positive Asylbescheide. Familien wurden in Heimen untergebracht. Damit gingen die Frauen und Kinder und mit ihnen die Unterstützung aus breite Unterstützung aus der Bevölkerung. Geblieben sind nur etwa 20 einsame Männer. Sie haben schon mehrfach vergeblich Asyl beantragt und müssten eigentlich abgeschoben werden. So ist Europapolitik eben auch, weiß Kirchenfrau Hatzinger: „Man darf die Schicksale nicht vergessen. Wir können aber auch nicht jedes Flüchtlingslager besuchen. Und es gibt eben auch rechtliche Rahmen.“ Und in Belgien besagt der zum Beispiel, dass Gebiete rund um Kabul oder Mazar-i-Sharif etwa sicher sind.
Länder mit den meisten Asylanträgen in Europa. Quelle: Eurostat
Doch genau daher kommt Adul: Kabul. Vor zwei Jahren sei er nach Belgien gekommen, sagt er. Die übliche Route: Griechenland, Balkan, dann über Frankreich nach Belgien. Ein Schlepper habe ihm erzählt, in Belgien seien seine Chancen ziemlich gut. Man würde nicht sofort abgeschoben, wenn man kein Asyl bekomme. Der europäische Umgang mit Flüchtlingen gleicht einem Flickenteppich. Jedes Land hat seine eigenen Regeln. Einen einheitlichen Schutzraum gibt es nicht, kritisieren etwa die Grünen im EU-Parlament. Bis auf die Kirchenräume, die in immer mehr Ländern Flüchtlingen Unterschlupf bieten. Schließlich trauen sich die Staaten in den wenigsten Fällen, Kirchen zu stürmen.
Zum Beten in die Moschee – zum Schlafen in die Kirche
Adul führt durch die Kirche wie ein Fremdenführer, der jahrelang nichts anderes gemacht hat: Da hinten ist die Toilette, rechts neben dem Altar. Hier links hinter der Tür beten wir. Oder in der Moschee ein paar Straßen weiter. Schließlich ist Ramadan. Geduscht wird bei Freunden oder in umliegenden Cafés. Dann Aduls Lieblingsort: Die Kanzel. Zwei Meter hoch aus geschnitztem Holz. Hinter einer der Planen hustet jemand hart, es klingt wie röcheln und übergeben. Die Schnitzereien faszinieren Adul. Er sei selbst Tischler gewesen in Kabul, sagt er. Neun Uhr abends schließen sie die Kirche ab. Morgens um neun wieder auf. Einer der Flüchtlinge kommt mit dem Rad in die Kirche gebrettert. Die Reifen quietschen auf den Steinplatten, es hallt nach in den hohen Decken. Nach und nach schlendert mal jemand auf’s Klo. Sonst passiert nichts.
Im April dieses Jahres wollte Pfarrer Daniel Alliet die Kirche dann räumen lassen. Der Protest war eingeschlafen. Die Besetzung seiner Kirche hatte er geduldet, weil es um politische Ziele ging. „Ohne politische Aktion ist es nur ein Obdachlosenheim“, sagte Alliet damals. Die Flüchtlinge richteten daraufhin einen Info-Punkt in der Kirche ein, an dem sich Besucher über die Flüchtlingspolitik informieren können. Es sind ein paar Holzstellwände mit Fotos früherer Aktionen unter der fünften Station des Kreuzweges. Bilder von Kindern, Frauen. Ein Bild des getöteten Aref. Und Parolen, die für mehr Menschlichkeit werben. Priester Alliet ließ das als politisches Engagement durchgehen.
Einige würden rausgehen, erzählt Adul. Illegal als Übersetzer arbeiten, weil viele ziemlich gut englisch, französisch und sogar flämisch sprechen könnten. Die meisten seien schließlich schon mehrere Jahre illegal in Belgien. Andere hängen rum. Es sind keine Bilder, mit denen man für Asylolitik werben kann. Das weiß auch Adul. Deswegen überlegen sie nach neuen Aktionen. Am Ende bleibt vielleicht nur noch ein Hungerstreik, sagt Adul. Um doch noch Asyl zu erzwingen. Aber erst nach dem Ramadan.