WIRTSCHAFTSDIALOG
Auf eigenen Beinen
Die Krise ist bis heute nicht überwunden. Viele junge Griechen sehen die Zeit aber als Chance und gründen ein Startup. Doch der Weg ist steinig.
Von Vera Leuner
Viel Papierkram, eine sehr hohe Unternehmenssteuer und zu wenig Kundschaft vor Ort – der Weg für Gründer in Griechenland ist steiniger als in anderen europäischen Ländern. Trotzdem probieren sich immer mehr junge Griechen als Unternehmer. Viele von ihnen zieht es nach Thessaloniki. Die Hafenstadt im Norden Griechenlands entwickelt sich momentan zu dem neuen Hotspot für Startups.
Pantelis Zorkas und seine Partnerin Anna Chiloura haben schon zweimal ein Unternehmen gegründet. Sie scheiterten beim ersten Anlauf – zu viele Köche in ihrem Team verdarben sich gegenseitig den Brei. Viele hätten danach aufgegeben – doch nicht Pantelis und Anna. Im schwierigsten Jahr der Krise 2015 wagten sie es mit einem neuen Anlauf: Sie gründeten die Firma Elektronio, die handgemachte dreirädrige E-Bikes baut. Die Erfahrungen aus dem gescheiterten Projekt waren sehr wertvoll für die Beiden, dieses Mal waren sie besser vorbereitet. Nur bestimmte Unternehmer erwirtschaften zwei, drei Jahre nach der Gründung Gewinn, meint Pantelis: diejenigen, die eine Marktlücke gefunden haben – und die sich auch dann selbstständig gemacht hätten, wenn die Krise sie nicht dazu gezwungen hätte.
“Viele in Griechenland glauben, dass ein erfolgreiches Startup eines ist, das Geld für den Investor verdient. Aber ich glaube, ein erfolgreiches Startup ist eines, das Kunden hat”, sagt Pantelis.
Und Kunden hat Elektronio immer mehr. Im dritten Jahr machen die Jungunternehmer nun Gewinn und wurde schon bei neun Wettbewerben ausgezeichnet. Ihre Werkstatt ist gleichzeitig Labor und Büro, an der Wand hängen Fahrradreifen neben Schraubenziehern in allen Größen. Elektronio ist Teil einer immer größer werdenden Community an Startups in Thessaloniki, die Hälfte aller Produkte wird ins Ausland exportiert. Aber auch wenn der Kundenstamm wächst, ist nicht alles rosig bei Elektronio: “Wenn du anfängst, Gewinne zu machen, merkst du, dass das Steuersystem es dir schwer macht.”
Die im europäischen Vergleich sehr hohe griechische Unternehmenssteuer liegt bei 29 Prozent. Eine weitere Hürde ist, dass in Griechenland die Steuer nicht nur auf Gewinne aus diesem Jahr gezahlt wird, sondern zusätzlich als gleich hoher Vorschuss für das kommende Jahr. Eigentlich beträgt die Steuer also 58 Prozent. Und selbst bei einem Nullgewinn, der bei Startups in den ersten Jahren sehr üblich ist, fordert der Staat einen Vorschuss für das kommende Jahr, weil von kommenden Einnahmen ausgegangen wird.
“Steuern auf Gewinne zu zahlen, die du noch nicht gemacht hast – das ist pure Feindlichkeit gegenüber Unternehmen”, sagt Simon Bensasson.
Bensasson ist Leiter von OK!Thess, einem Unternehmen, das ausgewählten jungen Gründern in Thessaloniki gegen einen kleinen Betrag Hilfe anbietet und das auf Initiative der Stadt entstanden ist. Das Steuersystem sei veraltet, sollte sich dringend ändern, meint er. Es entstand im vergangenen Jahrhundert, als es zwischen 1950 und 1980 ein hohes Wachstum in Griechenland gab. Durch die Krise verlor das Land jedoch ein Viertel seines Bruttoinlandsproduktes. Ein Grund, weshalb in Griechenland laut einer Studie des European Startup Monitors aus 2016 die durchschnittliche Mitarbeiterzahl in Startups bei nur fünf Personen liegt. Pantelis und Anna waren sich dessen bewusst und wollten trotzdem nur hier gründen. Die Liebe zur Heimat und die Hoffnung auf Besserung waren ausschlaggebend.
Im europaweiten Vergleich sind griechische Unternehmer deutlich unzufriedener als zum Beispiel die in Frankreich. In Großbritannien, wo er studierte, wäre Asterios Kritikos erfolgreicher gewesen mit seiner im Mai dieses Jahres gestarteten Software, die Oviview heißt. Davon ist er überzeugt. Seine Software hilft Personalabteilungen von Unternehmen, Mitarbeiter zeitsparend auszuwählen und einzustellen. Aber die Gründungsphase für die Website in London zu bewältigen, während man noch keinen Gewinn macht, das wäre nicht möglich gewesen. Wenn sein Projekt in den nächsten Jahren Gewinn abwirft, will er expandieren: nach Zypern vielleicht, dort liegt die Unternehmenssteuer nur bei 12,5 Prozent. Wenn nicht, dann will er sein Glück woanders versuchen.
Das zu machen, was sie lieben – oder ins Ausland zu gehen: vor dieser Wahl standen die Gründerinnen von dot2dot. Im Krisenjahr 2013 gründeten Christina Vraka, Ethnologin und Sonderschullehrerin, und die Archäologin Vasiliki Kartsiakli ihr Unternehmen. Ihr Produkt ist nicht exportierbar: Sie bieten Stadtführungen durch Thessaloniki an, in denen sie ihr Wissen aus dem Studium nutzen und individuell für Touren recherchieren. Monumente, deren Türen sonst für Touristen geschlossen bleiben, lassen sie für ihre Führung aufsperren. Als Asterix und Obelix verkleidet führen sie Familien durch das römische Erbe der Stadt. Das und die bunte Zielgruppe aus Menschen mit Behinderung oder Senioren sind ihre Alleinstellungsmerkmale.
“Wir haben es nicht bereut – und wir arbeiten jeden Tag mehr als 12 Stunden”, sagt Vasiliki.
Die beiden schufen sich selbst einen Arbeitsplatz und Teilzeitstellen für weitere vier Mitarbeiter – allerdings mit dem Kapital ihrer Eltern. So mussten sie ihre Heimat, an der sie sehr hängen, nicht verlassen.
Als Absolventinnen von einer der fünf Universitäten in Thessaloniki sind sie ein Beispiel für den großen Standortvorteil, den die Stadt mitbringt. 120.000 Absolventen gab es hier letztes Jahr. Die vielen gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die Nähe zum Balkan,die aktive Community und die Hilfe von Initiativen wie OK!Thess machen Thessaloniki zum attraktiven Standort für Gründer.
“Momentan beobachte ich, dass Thessaloniki bei Innovationen schneller wächst als Athen, aber auf einem niedrigeren absoluten Level”, sagt Simon Bensasson.
Trotzdem ist Scheitern immer noch möglich, besonders zwischen der Gründung und dem ersten Plus in der Bilanz ist es wahrscheinlich. “Death Valley” wird diese Zeit genannt, während die Gründer noch keine Investoren haben und noch keinen Gewinn machen.
“Du leihst dir 10.000 or 15.000 Euro von Freunden oder Familie und du denkst, dass das genug ist, um ein Unternehmen zu gründen. Und dann geht dir das Geld aus”, sagt Simon Bensasson. Das Death Valley zu überleben ohne zu verdursten ist leichter, wenn Griechen das Unternehmen erst dann offiziell gründen, wenn sie bereits Käufer gefunden haben, rät Besasson. So spare man sich in dieser eh schon kritischen Zeit das Geld, das der Staat von den Gründern verlangt.
Die Krise, die bis heute nicht überwunden ist, sei ein Anreiz dafür, dass sich junge Leute sich immer mehr als Unternehmer probieren, sagt Bensasson. Durch ein gekürztes Staatsbudget gab es weniger öffentliche unbefristete Stellen. Und auch Unternehmen zahlen mittlerweile schlechter oder stellen Absolventen nicht ein. Die Mentalität begann sich zu ändern, so Bensasson: “Die cleveren Leute fangen an zu verstehen, dass nicht nur der öffentliche Dienst eine Karriere bereithält, sondern dass es besser ist, auf eigenen Füßen zu stehen.”