INTERVIEWS
WIRTSCHAFTSDIALOG
“Es war ein vorhersehbares Desaster”
Paul Krugman ist Träger des Wirtschaftsnobelpreises – und scharfer Kritiker der europäischen Politik in der Schuldenkrise. In dieser Woche war der amerikanische Professor zu Gast beim “Athens Democracy Forum” und sprach dort mit Marie-Lena Hutfils und Despoina Kiltsopoulou über den Wahrheitsgehalt einiger Narrative in der europäischen Staatsschuldenkrise.
Interview: Marie-Lena Hutfils und Despoina Kiltsopoulou
Photo Credits: Demetrios Pogkas
dialoggers.eu: In Deutschland und Griechenland gibt es einige Narrative, die gerne verwendet werden um die Griechenlandkrise zu erklären. Könnten Sie die folgenden vier für uns kommentieren? Das erste wäre: Das Geld ging nur an die griechischen Banken.
Paul Krugman: Der Großteil des Geldes, das seit der Krise an Griechenland verliehen wurde, ist zurückgeflossen. Es ist letztlich mehr ein Bailout (Schuldenübernahme; Anm.d.Red.) der deutschen und französischen Banken, als es einer der griechischen ist. Natürlich ging nicht alles zurück, aber der Großteil des Geldes war nicht zum Nutzen Griechenlands. Die Idee, dass riesige Mengen an Geld nach Griechenland geflossen sind, ist einfach nicht wahr.
dialoggers.eu: Kommen wir zum zweiten Narrativ. Profitiert Deutschland von der Krise?
Paul Krugman: Das ist zu rigoros und ist in meinen Augen eher eine deutsche Verschwörung. Solche Aussagen gehen zu weit und helfen der Sache wahrscheinlich eher nicht. Deutschland profitiert allerdings enorm vom Euro. Ohne den Euro hätten wir heute eine extrem starke Deutsche Mark und deutsche Hersteller würden gerade ziemlich leiden (Anm. der Redaktion: Mit einer starken Deutschen Mark wäre es für deutsche Hersteller ziemlich schwer, ihre Produkte ins Ausland zu exportieren, da sie für ausländliche Kunden durch die Wechselkurse vergleichsweise teuer wären). Durch die Krise ist Deutschland aber zumindest ein bisschen schlechter gestellt, weil das restliche Europa ein schwächerer Markt geworden ist. Der Hauptpunkt ist allerdings, dass Deutschland diese Krise durch die eigene Brille betrachtet hat. So wurden Mythen aufrecht erhalten. Es geht immer um deutsche Tugendhaftigkeit und den Mangel an Tugend in den südlichen Ländern Europas – und das stimmt einfach nicht.
dialoggers.eu: Was würden Sie jemandem sagen, der behauptet, dass der deutsche Steuerzahler für Griechenland in der Kreide steht?
Paul Krugman: Nochmal: Wenn man sagt, dass der Großteil des Geldes für die Rettung der Banken Nordeuropas verwendet wurde – und nicht für die Regierungen im Süden Europas –, dann trägt der deutsche Steuerzahler einen Teil dieser Kosten. Nicht viel bislang, aber ein bisschen. Aber das sind die Kosten der Bankenrettungen und nicht der Griechenlandrettung. Das gilt übrigens genauso für den US-amerikanischen Steuerzahler, der einen Teil der Last für die Rettung unserer Banken trägt.
dialoggers.eu: Sind Sparmaßnahmen, wie sie in Griechenland implementiert wurden, letztlich erfolgreich?
Paul Krugman: Es gibt einen sehr großen Unterschied: Wenn Sie eine Wirtschaft mit Vollbeschäftigung haben und dann Wege finden, Geld zu sparen, um es für andere Mittel frei zu machen – dann ist das eine gute Sache. Aber unter diesen Umständen war Austerität ein Desaster. Und es ist lustig: Es war ein vorhersehbares Desaster. Wenn Sie vorher gefragt hätten, was die gängigen Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre dazu sagen, Ausgaben zu kürzen – es wäre genau das gewesen, was Griechenland passiert ist. Das Verblüffende daran ist, dass ernstzunehmende, wichtige Personen mit Verantwortung sich neue ökonomische Theorien aus den Fingern gesogen haben, um zu rechtfertigen, was sie tun. Und wir Radikale haben gesagt: Nein, wir glauben an dieser Stelle den Lehrbüchern. Und wir hatten Recht. Aus der Sicht eines Ökonomen ist das wirklich Erstaunliche, wie gut die Grundlagen der Makroökonomie seit 2009 funktioniert haben.
dialoggers.eu: Viele der Narrative, die in der Krise benutzt werden, sind offensichtlich nicht so einfach zu bestätigen. Wie können Sie sich erklären, dass sie, überhaupt erst entstehen?
Paul Krugman: Ich denke, dass sie als einfache Argumente dienen, um sie den Wählern zu verkaufen. Sie passen in nationale Stereotypen. Der Mythos des faulen Griechen zum Beispiel, der von den Hilfen der reicheren Ländern lebt. Wenn man sich die Arbeitsstunden anschaut, zeigt sich, dass das komplett falsch ist. Deutsche haben, gemessen am amerikanischen Standard, einen unglaublich hohen Anteil an Urlaub. Aber es passt in Stereotype. Und natürlich hilft es jenen Leuten, die Austeritätsmaßnahmen implementieren wollen, um politische Unterstützung für ihre Maßnahmen zu erhalten. Das europäische Finanzsystem funktioniert aber leider nicht so einfach.